Wo sind all die Mädchen hin? Über das „verbale Umschiffen von Sachverhalten“ durch linke Clubbetreiber

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Im Herbst 2013, also vor gar nicht so langer Zeit, konstatierte die Redaktion Bahamas anlässlich des Imageverlustes, den männliche Flüchtlinge des Camps am Kreuzberger Oranienplatz in Berlin bei ihren autochthon-weiblichen Supportern aufgrund sexistischer Übergriffe erlitten: „Allerdings hätte man diesbezüglich wissen können, dass es – um es vorsichtig auszudrücken – diverse Schwierigkeiten bezüglich des Geschlechterverhältnisses birgt, wenn (v.a. „moderne“) Frauen in absoluter Unterzahl Räume betreten, in denen Männer als Horde zusammenleben: jeder von ihnen alleinstehend und von der Familie (oder sonstiger sozialer Bindung) getrennt, frustriert angesichts der gegenwärtigen Situation, geprägt von Elend und Gewalt des Herkunftslandes, das zu verlassen ihm unter erheblichem Einsatz seiner Ellenbogen gelungen ist, und zudem nicht selten vom Patriarchalismus.“

Das provozierte damals schon die ernst gemeinte Frage, „was eigentlich antisexistische und antirassistische Frauen in eine über politische Solidarität hinausgehende alltagspraktische Nähe zu eben jenen meist rauen – jedenfalls selten „gendersensiblen“ – Männerhorden treibt, die sie ja zu Recht meiden, wenn sie von überwiegend Weißen gebildet werden“. Die Frage ist zwar nie beantwortet worden, aber sei‘s drum, jede muss schließlich selber wissen, wohin ihr Freizeit-Engagement sie führt.

Probleme öffentlich machen?

Zwei Jahre später hielten es Linksradikale dann nichtsdestotrotz für eine gute Idee, solche Horden nicht mehr nur aufzusuchen, um selbst herbeigeführte Ausnahmezustände mit ihnen zu leben, sondern sie stattdessen in die eigenen sogenannten Frei- und Schutzräume einzuladen, wohl von dem Wunsch geleitet, aus der staatlich verordneten Willkommenskultur des Sommers 2015 erst eine richtig linke Sause zu machen. Der Floris Biskamp freilich kann das, jedenfalls nachdem er „Kontakt zu zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen aus Leipzig aufgenommen“ hat, viel elaborierter ausdrücken: „Wenn ein linkes Zentrum sich in der aktuellen Situation entscheidet, nicht nur ‚Refugees Welcome‘-Aufkleber an Klowände zu pappen, sondern Geflüchtete persönlich einzubeziehen und ihnen durch einen stark verminderten Eintrittspreis eine Teilhabe am Nachtleben zu ermöglichen, ist das gelebte Solidarität und antirassistische Praxis – eine Praxis, die im Conne Island nach wie vor von Geflüchteten genutzt wird und aufgrund derer sich politische und persönliche Kontakte ergeben.“ (Konkret 01/2017)

Für viele Frauen sind diese „politischen und persönlichen Kontakte“, um die sie meist gar nicht nachgesucht hatten, allerdings wieder in die Hose gegangen, wie Taz online (12.10.2016) zu berichten weiß: „Melanie ist 23 Jahre alt und Jura-Studentin im ersten Semester. In Leipzig wohnt sie seit zweieinhalb Wochen. ‚Ich habe so etwas Zudringliches vorher noch nie erlebt‘, sagt sie. […] Ein paar Schritte weiter steht Laura, 30. Sie komme nur ab und an zu Partys hierher, sagt sie, vielleicht fünfmal in den letzten Monaten. ‚Aber jedes Mal bin ich auch bedrängt worden von Männern, die meine Sprache nicht sprechen. Das sind penetrante Typen, die nicht ablassen.‘ Hat Laura diese Vorfälle gemeldet? ‚Nein‘, sagt sie, ‚das habe ich nicht.‘ Warum nicht? ‚Ich wollte den Männern den Abend nicht versauen.‘ Wie bitte? ‚Das sind, denke ich, oft traumatisierte Männer aus patriarchal geprägten Gesellschaften, die noch lernen müssen, sich hier zurechtzufinden.‘ Nach kurzem Schweigen sagt sie: Wenn sie also nun so darüber nachdenke, dann müsse sie ihre Position wohl infrage stellen.“

Die eigene Position infrage stellen zu wollen, gibt auch ein Statement des Conne Island vom Oktober 2016 vor (https://www.conne-island.de/news/191.html), das es zu einiger medialer Prominenz bringen konnte, weil es offenkundig eine Art Tabu gebrochen hatte. Nach den „Reaktionen aus Presse und linken Kreisen“ auf den „,Hilferuf‘ des links-alternativen Freiburger Clubs White Rabbit Anfang des Jahres [2016]“ (Conne Island-Statement) scheint man sich in der Welt linker Clubbetreiber informell nämlich darauf verständigt zu haben, dass die an die Übergriffe auf der Kölner Domplatte gemahnenden Verhältnisse auf den von ihnen ausgerichteten Parties öffentlich unbedingt zu beschweigen seien. „Wir wissen aus Gesprächen, dass andere linke Klubs in einer ähnlichen Lage sind, aber keiner will darüber reden“, zitiert Spiegel online (19.10.2016) die Partymacher des Conne Island, die ein halbes Jahr für die Entscheidung benötigten, „die Probleme öffentlich zu machen“, woraufhin weitere „Wochen [vergingen], bis alle Beteiligten mit jeder einzelnen Formulierung einverstanden waren.“ (ebd.)

Wackertum, Empörung, engagierte Richtigkeiten

Dass Linke Monate brauchen, um Fakten auszusprechen und dann noch weitere Wochen, um diese auch zu formulieren, dass sie also ihre weiblichen Gäste mutwillig und ohne Vorwarnung in furchtbare Bedrängnis bringen, war dann aber gerade nicht Gegenstand der Debatte über White Rabbit, Conne Island und die Folgen. Stattdessen einigte man sich darauf, dass der Schutz vor Männerhorden und der Schutz von Männerhorden zwar ein unauflösbares Dilemma sei, aber irgendwie unter einen Hut gezwungen werden müsse. Der bestens informierte Biskamp, dessen Spezialgebiet „das Reden über das Reden über“ ist, spricht es als gesamtdeutscher Clubbetreiber konsensual aus: „Das Bild sexuell aggressiver anderer, vor denen ‚unsere‘ Frauen geschützt werden müssen, gehört zum rassistischen Standardrepertoire und ist spätestens seit den ‚Silvesterereignissen von Köln‘ auch ein dominantes Narrativ in der ‚Flüchtlingskrise‘. Wer in einer solchen Situation Probleme wie die des Conne Island öffentlich thematisiert, stärkt effektiv den rassistischen Diskurs – egal, ob man sich dieses Diskurses bewusst ist, egal, ob man diesen Effekt beabsichtigt, egal, wie vorsichtig und differenziert man formuliert, und egal, wie viele explizite Abgrenzungen man vornimmt. Es dürfte nicht zuletzt an dieser nicht zu vermeidenden Anschlussfähigkeit an rassistische Haltungen gelegen haben, dass die Erklärung des linken Zentrums so breit rezipiert wurde – wie Conne-Island-Mitbetreiberin Susanne Fischer betont, sehr viel breiter, als man im Vorfeld erwartet hätte. Daher hat Bernhard Torsch nicht ganz unrecht, wenn er in Konkret 12/2016 schreibt, der Conne-Island-Text sei ‚eine Posaune‘, die ‚das Orchester der Rassisten‘ verstärke. Unrecht hat er letztlich aber doch, weil er auch meint, diese Posaune sei ‚ohne Not‘ ergriffen worden. Denn damit ignoriert er die guten antisexistischen Gründe für einen Gang an die Öffentlichkeit. Man kann das Dilemma von Antirassismus und Antisexismus anerkennen und den Text des Conne Island dennoch scharf kritisieren.“ (Konkret 01/2017)

Oberflächlich betrachtet, könnte man meinen, dass die Misstöne dieses antirassistischen und antisexistischen Orchesters mit der Leipziger Posaune, dem Triangel-Spieler Biskamp und dem Trommler Torsch (der „den ‚jungen Männern mit Migrationshintergrund‘ nur gutes Gelingen dabei wünschen mag, diese Inseln selbstgerechter Saturiertheit zu verwüsten“) lediglich Ausdruck jenes verantwortungsvollen Denkens seien, an dem Rainald Goetz vor Jahrzehnten schon irre geworden ist: „Nichts produziert so viel geistigen Schlamm wie das Verantwortungsvolle Denken (VD). Dieses Denken hat den Kopf schon abgegeben, bevor es überhaupt die Augen aufgemacht und zum Schauen angefangen hat. Als Blindling rennt dieses Denken durch die Welt und darf nichts sehen. Stattdessen muss das Verantwortungsvolle Denken dauernd an die Verantwortung denken. Deshalb kommt nie eine Wahrheit über die Welt heraus, oder wenigstens mal eine kleine Neuigkeit. Nein, dieses Denken produziert automatisch […] immer wieder das gleiche: Wackertum, Empörung, dümmste engagierte Richtigkeiten und das Allerallerplattgewalzteste.“ (Suhrkamp 1987, 324)

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